Auf dem Südostausläufer des Jäïssbergs bei Studen lag in der Römerzeit die Kleinstadt Petinesca. Darüber, von weither sichtbar und gleichzeitig mit weitem Ausblick, lag ein regional bedeutsamer Tempelbezirk. Wohl anstelle eines keltischen Heiligtums entstand im 1. Jahrhundert nach Christus die gallo-römische Tempelanlage mit Umgangstempeln, Kapellen und weiteren zugehörigen Bauten. Sie wurde von einer Umfassungsmauer begrenzt. Dieses religiöse Zentrum wurde bis ins späte 3. Jahrhundert n. Chr. von den Bewohnerinnen und Bewohnern aus der Kleinstadt Petinesca und ihrer Umgebung benutzt. Noch im 4. Jahrhundert n. Chr. sind Nutzungen nachgewiesen worden.
Vorgehen
Vorbereitung
Bezug heute – früher
Auch heute werden Wallfahrtsorte und Tempelanlagen auf der ganzen Welt von Gläubigen für Gottesdienste, rituelle Handlungen und Fürbitten benutzt. In der Schweiz sind dies zum Beispiel die Klosteranlage von Einsiedeln mit ihrer Schwarzen Madonna oder Flüeli-Ranft mit den Lebens- und Wirkstätten von Bruder Klaus. Im asiatischen Raum finden sich unzählige, aktive-genutzte Tempelbezirke, so etwa in Myanmar (Burma), Thailand, Indien und Sri Lanka. Wie Rom für Katholiken, Jerusalem für Juden, ist Mekka für Muslime der wichtigste Wallfahrtsort.
Unsere multikulturellen Klassen bieten eine gute Gelegenheit, um mit Schülerinnen und Schüler über verschiedene Religionen und ihre rituellen Handlungen zu sprechen. So verstehen auch areligiöse Lernende besser die Beweggründe, warum Menschen heilige Stätten besuchen.
Themen, die vorgängig behandelt werden können
Damit Schülerinnen und Schüler die zu besuchende Fundstelle ergiebiger erkunden, erschliessen und auch begreifen können, ist es sinnvoll, vorgängig untenstehende Themen im Unterricht zu beleuchten:
Tempel, Priesterschaft und rituelle Handlungen sowie Aufbau, Form und Architektur: Wie sahen gallo-römische Tempel aus? (siehe dazu die Hinweise zum Tempelbezirk Thun-Allmendingen / zur Siedlung Brenodor auf der Engehalbinsel)
Nutzung: Wozu dienten Tempel? Für wen wurden Tempel errichtet? Wer durfte Tempel betreten/besuchen? Welche Rituale wurden vor und in den Tempeln durchgeführt? Was ist unter rituellen Opfergaben zu verstehen?
Priesterinnen und Priester:
Welche Aufgaben erfüllten sie? Wie lebten sie? Von wem wurden sie wohl unterstützt?
Gottheiten in der gallo-römischen Zeit:
Welche Gottheiten wurden verehrt? Welche Opfergaben wurden dargebracht?
Hilfreiche Lehrmittel
Zur Vorbereitung und selbständigen Vertiefung der gallo-römischen Zeit kann das Römerlexikon genutzt werden. Darin finden Schülerinnen und Schüler ausführliche, stufengerechte Texte und ergiebiges Bildmaterial. Damit können sie Vergleiche mit heute herstellen. Lehrpersonen finden im IdeenSet gallo-römische Zeit Materialien für den Unterricht.
Weiterführend
Der Verein Pro Petinesca organisiert regelmässig Archäologienachmittage für Kinder und Jugendliche.
1. archäologische Spuren forschend wahrnehmen
Fragen und Vermutungen
Wo befinden wir uns? Wie ist der Ort in der Landschaft eingebettet?
Aufträge und Lernaktivitäten
- Bevor ihr mit dem Erkunden beginnt, schaut zusammen auf der Landkarte nach, wo ihr euch befindet, und sucht den Standort der Tempelanlage: Vielleicht gibt es sogar eine Bezeichnung oder einen Namen, welcher dazugehört! Wie heisst der Ort? Notiert ihn!
- Ihr habt soeben eine Wanderung auf einen Hügel gemacht. Ist es Zufall, dass sich die Tempelanlage auf einer Anhöhe befindet? Notiert mögliche Begründungen.
- Betrachtet das Flugbild und sucht darauf die Ruinen. Seht ihr, wo ihr euch jetzt genau befindet?
- Sucht den geeignetsten Ort, von wo aus ihr möglichst viele Überreste sehen könnt, und betrachtet von dort aus die Anlage nach allen Seiten. Hier könnt ihr Fotos aufnehmen, welche die Ruinen zeigen. Anschliessend könnt ihr Details der Ruinen fotografieren, die euch auffallen.
2. archäologische Spuren handelnd erschliessen
Fragen und Vermutungen
Was ist da zu sehen? Was nehmen wir hier Besonderes wahr? Welche Spuren sind im Gelände erkennbar? Welche Materialien (Steine, Backsteine, Scherben, Tonplatten, Holz und so weiter) sind auf dem Platz auffindbar? Sind besondere Zusammenhänge feststellbar?
Aufträge und Lernaktivitäten
- Sucht die Umfassungsmauer und schreitet diese ab, so weit ihr könnt.
- Sucht die verschiedenen Mauerreste (Grundmauern) der Tempel und erstellt eine Skizze der ganzen Anlage (Situationsplan).
- Schaut euch die Überreste auf der Anlage genau an: Erkennt ihr Teile, die sicher nicht natürlich, sondern von Menschen geformt / gebaut worden sind? Fotografiert diese und tragt Nummern auf eurem Plan ein, wo sie sich befinden.
- Untersucht das Baumaterial: Erstellt eine Liste der Baumaterialien. Fotografiert interessante Details!
- Sucht euch nun eine der Tempelruinen aus und zeichnet diese möglichst genau ab. Danach messt ihr sie mit Messband und Klappmeter aus. Notiert die Masse (Länge, Breite, Mauern) auf eure Skizze.
- Sind alle Bauwerke gleich aufgebaut? Erkennt ihr Unterschiede (Grundriss, Dicke der Mauern und so weiter)
- Überlegt euch: Wo liegen diese Tempel in Bezug zur ursprünglichen Siedlung? Notiert eure Antwort in Stichworten.
3. archäologische Spuren deuten
Fragen und Vermutungen
Welchem Zweck könnte die Anlage gedient haben? Wer hat sie gebaut? Welche Spezialisten (Handwerker) haben hier gewirkt? Woher stammen die Baumaterialien? Wie lange hat es wohl gedauert, bis die ganze Anlage erbaut/erstellt war? Wer hat hier gelebt und gehandelt? Wie alt könnte die Anlage ungefähr sein? Scheint alles gleich alt zu sein?
Aufträge und Lernaktivitäten
- Erstellt eine Skizze der Anlage, wie sie bei ihrer Vollendung ausgesehen haben könnte. (Keine allzu genauen Details!)
- Überlegt euch folgende Fragen für das anschliessende Klassengespräch: Wofür wurde die Anlage wohl verwendet? Wer hat diese Anlage bauen lassen? Wer könnte den Auftrag dafür gegeben haben? Welche Spezialisten (Handwerker) brauchte es dazu? Was könnte die Funktion der Begrenzungsmauer gewesen sein? Wieso braucht es mehrere Tempel? Erkennt ihr eine Ähnlichkeit, wie die Tempel angelegt wurden? Woher wurden die Baumaterialien hergeholt? Wie lange hat es wohl gedauert, bis die Anlage fertig erbaut war? Wer hat hier gelebt/gehandelt?
- Setzt euch jetzt mit den anderen Schülerinnen und Schülern zusammen. Legt eure Skizzen nebeneinander und vergleicht sie.
- Besprecht und begründet gemeinsam in der Gruppe die gestellten Fragen.
4. archäologische Spuren bewerten
Fragen und Vermutungen
Wie kann die Anlage kulturgeografisch und zeitlich/geschichtlich verortet werden? Welche sozialen Bezüge sind mit dieser Anlage verbunden? Wie hat man sich die Anlage in ihrem Originalausbau vorzustellen?
Aufträge und Lernaktivitäten
- Sucht auf dem Zeitstrahl möglichst genau die Epoche, welche zu diesem archäologischen Fundort passt.
- Betrachtet die Rekonstruktionszeichnung und vergleicht sie mit eurer Skizze und mit den Überresten: Stellt fest, was von den ursprünglichen Bauten heute noch vorhanden und was möglicherweise rekonstruiert worden ist!
- Überlegt euch: Wie haben die Menschen früher diese heilige Anlage genutzt? Was haben sie dort gemacht? Welche Bedeutung hatte sie für die Bevölkerung!
Anregungen für ein Klassengespräch
Wofür dienen/dienten Tempel?
Mögliche Antworten: Als Ort der Götterverehrung, der religiösen Handlungen, für Rituale, Andachten und Opferungen.
Warum standen so viele Tempel beieinander?
Mögliche Antworten: Weil hier ein wichtiges Heiligtum weit über den eigentlichen Siedlungsort hinaus bestanden hat und in den verschiedenen Kulträumen den damals vielen Göttinnen und Götter gehuldigt wurde.
Was fehlt an diesem Tempelplatz heute Grundsätzliches?
Mögliche Antworten: Praktisch alles Aufgehende, das Wegnetz, die heiligen Plätze mit ihrer gepflegten Anlage.
Warum ist von den vielen Gebäuden praktisch alles verschwunden?
Mögliche Antworten: Die Bauten wurden nach Aufgabe und Zerfall des Heiligtums ausgebeutet und die brauchbaren Baumaterialien weiterverwendet. Ebenfalls ist vorstellbar, dass das praktisch vollständige Fehlen der Tempel auf eine Tilgung dieser «heidnischen Anlagen» in christlicher Zeit zurückzuführen ist.
Was wäre allenfalls noch vorhanden / was könnte vielleicht noch gefunden werden?
Mögliche Antworten: Sofern eine Nachgrabung stattfinden würde, könnten möglicherweise weitere Artefakte (wie Keramikscherben, Münzen) sowie weitere Fundamentreste und Spuren von Holzbauten (in Form von Bodenverfärbungen) gefunden und festgestellt werden.
Welche Fakten können zu einem möglichst sicheren Rekonstruktionsbild eines Tempels/Gebäudes führen?
Mögliche Antworten: Anhand weiterer, bekannter Ausgrabungen von Tempelbezirken, wie etwa dem römischen Heiligtum von Thun-Allmendingen oder dem Tempelbezirk auf der Engehalbinsel bei Bern konnte ein recht sicheres Bild der gallo-römischen Tempel gewonnen werden. Die durch die Grabung rekonstruierten Grundrisse sind einander verwandt und lassen darauffolgende Rekonstruktionen plausibel erscheinen, obwohl kein aufgehend erhaltener Tempel in der Schweiz zu finden ist.
weiterführend
Vertiefung vor Ort
- Weitere Aktivitäten und szenische Darbietungen: etwa die Kultstätte «erwecken», indem Handlungen von Priestern/Priesterinnen nachgestellt werden.
- Eine Gottheit auswählen und sich mit dieser genauer auseinandersetzen. Etwa Merkur: Gott des Handels, der Handelsreisenden: Was könnte man ihm darbringen, ihn fragen, ihn bitten? Bitten für ein spezielles Anliegen formulieren: «Bring uns Fruchtbarkeit in unsere Familie, auf unsere Felder…», «Verschone uns vor Krankheiten», «Heile unsere Leiden» und so weiter.
- Schülerinnen- und Schülergruppen Opfergaben darbringen lassen. Was wurde geopfert? Wer hat von diesen Opferungen profitiert? Wer führte die Opferungen durch? Wie muss man sich das Opferritual vorstellen?
Vertiefung im Schulzimmer
Folgende periphere Themen könnten im Nachgang behandelt werden:
- Was ist Glaube?
- Was ist eine Göttin, ein Gott, ein Götterhimmel?
- Welche Götter hatten die Römerinnen und Römer?
- Warum brauchten Römerinnen und Römer überhaupt Götter?
- Was ist eine Priesterin, ein Priester? Womit ist sie/er heute vergleichbar: Katholischer Priester, Mönche, etwa im Buddhismus
In der näheren Umgebung
Im näheren Umfeld des Jäïssberges lassen sich weitere archäologische Geländedenkmäler erkunden. Sie sind teilweise mit einem Rundweg verbunden.
Mitnehmen
- Bleistift, Farbstifte, Radiergummi, Notizpapier
- Kartenausschnitt, Luftbild (ausgedruckt)
- Fotoapparat oder Smartphone
- Messbänder, Klappmeter
- eventuell Verkleidungstücher (für Priesterinnen und Priester) / Opferschalen / Weihegegenstände und «Opfergaben».
Bilder
Download
Kartenausschnitt Swisstopo
Luftbild Swisstopo
Rekonstruktionszeichnung Mehrzweckgebäude
Rekonstruktionszeichnung gallo-römischer Umgangstempel
Informationstafeln (lang)
Informationstafeln (kurz)
Römerlexikon: T - Tempel
Römerlexikon G - Götter
Zum Vergleich: Tempelbezirk Thun-Allmendingen
Zum Vergleich: Siedlung Brenodor, Engehalbinsel
Zeitstrahl
Anreise
Studen/Petinesca: Hinter dem Migrolino verläuft ein markierter Wanderweg (1) durch den Wald bis zur angegebenen archäologischen Fundstelle «Gumpboden» (3). Dauer der Wanderung rund 30 Minuten (eine kurze Pause sollte bei der heutigen Deponie (2) vorgenommen werden: Unter dem heute abgelagerten Bauschutt liegen unerforschte Siedlungsreste von Petinesca. Eine Grabung ist nicht vorgesehen, da sie sehr kostspielig sein würde und die Reste im Boden gut geschützt sind.) (zum Fahrplan)
CC-BY-SA
Konzept: ADB und PHBern
Didaktische Überlegungen, Text: Martin Furer und Pascal Piller, PHBern
Wissenschaftliche Inhalte, Korrektorat: Andrea Lanzicher und Christine Felber, ADB
Titelbild: Martin Furer