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Mittelalter Oberland

Kirchruine in Goldswil

Der romanische Glockenturm der Kirche von Goldswil prägt bis heute das Landschaftsbild oberhalb des «Bödelis» bei Interlaken.

Vorgehen

Bezug heute – früher

Die Schülerinnen und Schüler kennen meist aus eigenen Erfahrungen die Vielfalt von religiösen Bauten. Sie wissen, dass es in jeder Weltreligion spezielle Gotteshäuser gibt. Dies bietet die Gelegenheit, mit ihrem Wissen über die besondere Gestaltung der Gotteshäuser und deren Nutzung zu sprechen. Weiter wissen die Schülerinnen und Schüler, dass religiöse Bauwerke meist an besonderen Lagen errichtet wurden. Etwa damit die Gläubigen sie aus grösserer Entfernung sehen und mit ihnen auch verbunden sein können.

Bei grösseren Gotteshäusern – gerade auch bei Kirchenbauten – gehören Glockentürme zum prägenden Erscheinungsbild. Ebenso verhält es sich bei den meisten Moscheen. Was bei Kirchtürmen das Glockengeläut, ist bei Moscheen der Ruf des Muezzins vom Minarett: Beides erinnert weithin an die Präsenz dieser Gotteshäuser und ruft Gläubige zum Gebet auf.

Das Anschlagen von Glocken ist in vielen weiteren Religionen verbreitet: So kennen wir das Glockengeläut neben dem Christentum beispielsweise im Buddhismus und im Hinduismus.
Den Glocken schreibt man die Fähigkeit zu, durch ihr Geläut Himmel und Erde miteinander zu verbinden.

Themen, die vorgängig behandelt werden können

Damit die Schülerinnen und Schüler den zu besuchenden Lernort ergiebiger erkunden, erschliessen und auch begreifen können, macht es Sinn, im Unterricht über die Gestaltung von Kirchen – und insbesondere auch von Kirchtürmen – zu sprechen. Die Schülerinnen und Schüler können sich im Internet ein vielfältiges Bild davon verschaffen.

Weiter könnte vor der Exkursion explizit die Architektur der Romanik und die besondere Gestaltung von Glockentürmen (ital. Campanile) aus dieser Epoche beleuchtet werden, damit beim Besuch ein Wiedererkennen stattfinden kann. So könnte man einige Campanile aus dem Tessin und der Lombardei vorgängig anschauen.

Suche nach folgenden Stichworten:

  • Romanische Architektur oder romanische Baukunst
  • Romanische Kirchen in der Schweiz
  • Tessiner Campanile
  • Lombardischer Campanile

Hilfreiche Lehrmittel

Zur Erarbeitung und selbständigen Vertiefung dient auch das IdeenSet «Alltag im Mittelalter», insbesondere die Szenarien Stadt, Dorf und Kloster: Darin werden mittelalterliche Kirchenbauten, so die Stadtkirche, die Dorfkapelle und die Klosterkirche, mit ihrem Geläut besprochen. Ein guter Überblick zu Glockentürmen ist zudem auf Wikipedia zu finden.

Fragen und Vermutungen

Wo befinden wir uns? Wie ist der Ort in der Landschaft eingebettet? Was erkennen wir?

Aufträge und Lernaktivitäten

  1. Bevor ihr mit dem Erkunden beginnt, sucht zusammen auf der Landkarte den Standort der Ruine: Wie hoch liegt der Ort? Rechnet aus, wie viele Meter über der Aare euer Standort bei der Kirchenruine liegt. Notiert euch beide Angaben.
  2. Betrachtet das Luftbild und sucht darauf die Ruine. Seht ihr, wo ihr euch jetzt genau befindet?
  3. Macht jetzt einen Rundgang, um die Anlage von allen Seiten zu betrachten.
  4. Sucht den geeignetsten Standort, von wo aus ihr einen möglichst guten Blick auf die Ruine und den Glockenturm habt. Setzt euch an diesem Punkt hin und skizziert die Ruine.
  5. Anschliessend könnt ihr Details der Ruine, die euch auffallen, fotografieren.

Fragen und Vermutungen

Was ist da zu sehen? Was nehmen wir hier Besonderes wahr? Welche Spuren sind im Gelände erkennbar? Sind besondere Zusammenhänge feststellbar?

Aufträge und Lernaktivitäten

Die Anlage generell

  1. Erstellt einen Plan der Anlage, messt Länge und Breite der Innenräume und trägt die Masse in eure Pläne ein. Ihr könnt auch die Mauerbreiten ausmessen und diese eintragen.
  2. Betrachtet die Mauern auf der Seeseite: Hier entdeckt ihr ein besonderes Muster im Verband der Steine.
  3. Legt jetzt einen Kompass auf den Boden und zeichnet auf eurem Plan die Nordrichtung mit einem Pfeil ein. Stellt danach fest, in welche Himmelsrichtung die Kirche ausgerichtet wurde.
  4. Schätzt die Höhe des Glockenturms. Braucht dazu folgenden «Trick»: Geht zum Turmeingang und entfernt euch langsam. Beugt euch und schaut, ob ihr das Turmdach zwischen euren Beinen erkennen könnt. Sobald dies der Fall ist, stoppt ihr und messt den Abstand von hier zum Turm: Die gemessene Distanz zeigt euch ungefähr, wie hoch dieser ist.

Der Glockenturm

Der heute 16 Meter hohe Glockenturm in Goldswil ist im Kanton Bern als frühes Beispiel eines italienischen Bautyps (Campanile) weitgehend singulär. Nur die schlichteren Türme von Brienz, Meiringen und Steffisburg sind ihm zur Seite zu stellen.

Am Glockenturm lassen sich enge mittelalterliche Verbindungen der Region zu Oberitalien ablesen. Vielleicht waren vor Ort sogar Handwerker aus der Lombardei tätig. Kennzeichnend für den regelhaft an alpinen und voralpinen Verkehrsrouten vertretenen Bautyp ist die bewusste Steigerung der Anzahl und der Grösse seiner Wandöffnungen. Blendfelder, Bi- und Triforien mit Säulen und Pfeilern sowie Gesimse und Kämpfersteine mit Pflanzenornamenten verleihen den Türmen ihr typisches Erscheinungsbild. Formal folgen sie der damals in Europa verbreiteten Baumode der Hoch- und Spätromanik.

  1. Betrachtet den Glockenturm genau von unten bis oben. Verwendet dazu den Feldstecher.
  2. Was fällt euch auf, wenn ihr die Gestaltung und Anordnung der Fenster untersucht? Zeichnet diese ab.
  3. Weshalb haben die Maurer – sicher nach Anleitung des Baumeisters – die Rundbögen über den Fensteröffnungen so gestaltet? Besprecht es untereinander.
  4. Stellt euch zu einer der Turmecken hin und schaut über seine Kante nach oben. Hier seht ihr, wie hochpräzis die Maurer vor fast tausend Jahren die Steine aufgemauert haben.
  5. Erkennt ihr, wie die Handwerker die verschieden grossen Steine eingefügt haben? Welche Werkzeuge und welches weitere Baumaterial haben sie dafür noch verwendet? Erstellt eine Liste.
  6. Wofür könnte man diesen Turm speziell genutzt haben und warum ist er wohl so hoch? (Ursprünglich war er sogar noch ein Stockwerk höher.) Wozu dienen die Fenster im obersten Teil des Turmes?

Fragen und Vermutungen

Welchem Zweck könnte die Anlage gedient haben? Wer hat sie gebaut? Welche Spezialisten (Handwerker) haben hier gewirkt? Woher stammen die Baumaterialien? Wie lange hat es wohl gedauert, bis die ganze Anlage erstellt war? Wie alt könnte die Anlage ungefähr sein? Scheint alles gleich alt zu sein?

Aufträge und Lernaktivitäten

Mittelalterlicher Aberglaube und heidnische Symbolik
(Information für Lehrperson)

Im obersten Turmgeschoss findet sich im Ostteil eine auffällige Skulptur. Sie ist als Atlant, ein Stützpfeiler in männlicher Gestalt, geformt und in das Triforium eingestellt. Als Schutzgeste hat der Atlant neben dem Kopf die Hände erhoben. Unterhalb des gegürteten Bauchs präsentiert er seinen Penis. Im nicht mehr erhaltenen sechsten Geschoss stand eine ähnliche, etwas grössere Skulptur. Sie war in den 1940er-Jahren geborgen worden.
Die ungelenk wirkenden, blockhaft gearbeiteten Figuren sind wohl das Werk eines einheimischen Handwerkers. In der romanischen Bauplastik ist solch unheilabwehrender Figurenschmuck durchaus üblich. Wahrscheinlich vermischen sich hier vorchristlich-heidnische Vorstellungen und christliche Symbolik.

  1. Wenn ihr beim Turmeingang hineinblickt, findet ihr eigenartige Figuren. Sie befanden sich ursprünglich nicht hier, denn man hat sie zum Schutz vor Verwitterung am ursprünglichen Ort entfernt, dort durch Kopien ersetzt und die Originale in den Turmeingang gestellt. Schaut euch die Figuren genau an: Was könnt ihr erkennen? Was denkt ihr über diese Gestalten? Welcher Handwerker hat sie gefertigt?
  2. Zeichnet eine davon ab oder macht davon Fotos.
  3. Sucht die Figuren nun ein zweites Mal. Dafür müsst ihr den Glockenturm auf allen Seiten genau betrachten. Verwendet dazu den Feldstecher. Findet ihr die Kopien?
  4. Setzt euch jetzt mit den anderen Schülerinnen und Schülern zusammen. Legt eure Skizzen nebeneinander und vergleicht sie.

Fragen und Vermutungen

Wie kann die Anlage kulturgeografisch und zeitlich/geschichtlich verortet werden? Welche sozialen Bezüge sind mit dieser Anlage verbunden? Wie hat man sich die Anlage in ihrem Originalausbau vorzustellen?

Aufträge und Lernaktivitäten

  1. Sucht auf dem Zeitstrahl möglichst genau die Epoche, welche zu diesem archäologischen Fundort passt.
  2. Überlegt euch, wozu die Menschen früher diesen Ort genutzt haben.
  3. Skizziert, wie die Kirche möglicherweise früher ausgesehen hat. Benutzt dabei eure Planskizzen mit den eingezeichneten Grundmauern der Kirche.
  4. Vergleicht eure Zeichnungen mit dem Rekonstruktionsbild.

Anregungen für ein Klassengespräch

Wofür wurde die Anlage wohl verwendet?
Sie diente den Bewohnerinnen und Bewohnern von Goldswil, Ringgenberg und Niederried während mehr als 550 Jahren als Kirche und wurde 1670 aufgegeben.

Wer hat diese Anlage bauen lassen?
Das ist nicht überliefert. Möglicherweise hat das naheliegende Augustinerchorherrenstift von Interlaken den Auftrag dazu erteilt.

Welche Spezialisten (Handwerker) brauchte es dazu und
woher wurden die Baumaterialien geholt?

Da das Errichten einer solchen Kirche und insbesondere seines Glockenturms in der Planung und Durchführung anspruchsvoll war, bedurfte es verschiedener und erfahrener Fachleute: Einen gut ausgebildeten Architekten/Baumeister und einen professionellen Bautrupp, welcher Erfahrung im Errichten einer solchen Kirche hatte. Dazu gehörten ausgebildete Maurer, Steinmetze, Zimmerleute, Ziegler, Ziegel- und Kalkbrenner sowie Dachdecker. Weiter benötigte man viele Hilfskräfte aus der Gegend, welche das Baumaterial beschaffen mussten. Anzunehmen ist, dass die körperlich schwersten Arbeiten, insbesondere das Herbeischaffen des Steinmaterials, von ansässigen Männern mit ihren Ochsenkarren erledigt wurden. Ebenso bedurfte es einer grösseren Menge an Bauholz für den Dachstuhl, welches in den umgebenden Wäldern geschlagen wurde. Zur Verpflegung des Bautrupps und der Hilfsarbeiter sorgten Köche und Mägde. Die Nahrungsmittel lieferten wohl die Bauersleute, welche zur Kirchgemeinde gehörten.

Wie lange hat es wohl gedauert, bis die Anlage fertig erbaut war?
Dies weiss man nicht genau. Es ist jedoch erstaunlich, wie schnell – trotz der aufwendigen und beschwerlichen Arbeit – solche Kirchenbauten (und vergleichbare Kleinburgen) errichtet werden konnten. So darf man davon ausgehen, dass diese Anlage in etwa drei bis sechs Jahren gebaut war.

Warum wurde diese Kirche aufgegeben?
Der Aufstieg zu diesem Kirchort war mühsam und beschwerlich. Der Wunsch nach einer eigenen Dorfkirche in Ringgenberg wurde mit dem Neubau von 1670 erfüllt und die alte Kirche in Goldswil wurde deshalb obsolet.

Warum steht der Glockenturm noch, während alles andere nur noch mit wenigen Mauerresten vorhanden ist?
Den Glockenturm liess man wohl aus mindestens zwei Gründen stehen: Ein Abbruch hätte viel Zeit und Mühe gekostet.
Wohl hat man ihn aber auch stehen lassen, damit er trotz der Aufgabe der Kirche den Kirchplatz weiterhin repräsentiert.

Was hat man wohl mit dem jetzt fehlenden Material gemacht?
Das leichter wegzuschaffende Stein- und Holzmaterial wurde wahrscheinlich für den Neubau der Dorfkirche Ringgenberg oder auch für andere Bauvorhaben verwendet.

In der näheren Umgebung

Auf das Erstellen didaktischer Unterlagen zu weiteren Ruinen (Beinhaus und Grundmauern des Pfarrhauses) wurde verzichtet, da die vorgeschlagenen Aufträge für die meisten Schülerinnen und Schüler bereits zeitintensiv und anspruchsvoll sind. Es steht der Lehrperson offen, auch diese Reste noch genauer anzuschauen.

Es lohnt sich, den nahe gelegenen Lernort Burgruine bei Ringgenberg zu besuchen. Zu diesem bestehen ebenfalls ausgearbeitete Lernaktivitäten. Die Wanderzeit zur Burgruine beträgt etwa 30 Minuten.

Das Burgseeli mit seinem Strandbad lädt zum Verweilen ein.

Mitnehmen

  • Bleistift, Farbstifte, Radiergummi, Notizpapier
  • Kartenausschnitt (ausgedruckt)
  • Luftbild (ausgedruckt)
  • Fotoapparat oder Smartphone
  • Feldstecher, Messbänder, Klappmeter
  • Zeitstrahl

Bilder

Download

Anreise

Mit dem Bus erreicht man Goldswil ab dem Bahnhof Interlaken Ost in 11 Minuten (zum Fahrplan).
Der Aufstieg zur Kirchenruine ist kurz, aber recht steil. Es gibt einen schmalen, gelegentlich abschüssigen Fusspfad auf der nordwestlichen Seite des Hügels; man kann aber auch die geteerte Strasse für den Aufstieg zur Ruine benutzen. Zu Fuss dauert die Wanderung von der Bushaltestelle Goldswil zur Ruine eine gute halbe Stunde.


CC-BY-SA
Konzept: ADB und PHBern
Didaktische Überlegungen, Text: Martin Furer und Pascal Piller, PHBern
Wissenschaftliche Inhalte, Korrektorat: Andrea Lanzicher und Christine Felber, ADB
Titelbild: Pascal Piller